Demokratie im Fokus: Warum Politische Theorie heute die Gesellschaft bewegt

Shownotes

Demokratie ist ein komplexes Konstrukt, das unterschiedlich interpretiert werden kann. Die verschiedenen Vorstellungen können Folgen für das gesellschaftliche Zusammenleben haben. Welche Vorstellungen von Demokratie in aktuellen Diskussionen miteinander konkurrieren und wie diese aus Sicht der Politischen Theorie zu bewerten sind, erläutert Professorin Claudia Landwehr im Gespräch mit Moderator Lawrence Meinig.

Musik: • Clean Logo von Sugar Beats (premiumbeat.com) • Reverse Engineered von Patrick Rundblad (premiumbeat.com) • Glide - Modern Electric Logo von MVM Productions (premiumbeat.com)

Moderator: Lawrence Meinig

Mehr zum Thema unter folgenden Links: Forschungspofil der Johannes Gutenberg-Universität Mainz [Professorin Claudia Landwehr] (https://theorie.politik.uni-mainz.de/team/univ-prof-dr-claudia-landwehr/)) Forschungspodcast

Transkript anzeigen

00:00:05: Demokratie ist in Deutschland ein Begriff, der sehr positiv besetzt ist.

00:00:10: So positiv, dass die meisten sich stolz als Demokratinnen und Demokraten bezeichnen würden.

00:00:17: Trotzdem wird tagtäglich dazu diskutiert.

00:00:20: Was, wenn es in unserer Gesellschaft verschiedene Vorstellungen gibt von dieser Demokratie?

00:00:28: Mainz of Mainz – Der Gutenberg Talk. Ein Forschungspodcast der Johannes Gutenberg-Universität Mainz

00:00:37: Herzlich willkommen zum Forschungspodcast der JGU.

00:00:40: Mein Name ist Lawrence Meineck und ich freue mich sehr, Sie durch das Format zu führen.

00:00:44: In dieser Podcastreihe öffne ich Ihnen das Tor zur Welt der Wissenschaft an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.

00:00:50: Ich nehme Sie mit auf eine Entdeckungsreise zu den unterschiedlichsten Disziplinen und deren wissenschaftlichen Themen und Fragestellungen.

00:00:57: Gemeinsam lernen wir die Forschenden der Universität kennen.

00:01:01: Wie arbeiten Sie und welche Erkenntnisse gewinnen Sie?

00:01:06: In dieser Folge spreche ich mit Professorin Dr.

00:01:08: Claudia Landwehr.

00:01:09: Sie hat eine Professur für Politische Theorie und Public Policy an der JGU.

00:01:15: Ihre Forschungsschwerpunkte sind zeitgenössische Demokratietheorie, Handlungs- und Entscheidungstheorie und empirische Demokratieforschung.

00:01:24: Vor ihrer aktuellen Professur war sie bereits zehn Jahre Professorin für Politik und Wirtschaft am Institut für Politikwissenschaft der JGU.

00:01:32: Ich habe mich natürlich direkt gefragt, warum sie sich für diesen Wechsel entschieden hat.

00:01:39: Nachdem ich schon zehn Jahre Politik und Wirtschaft unterrichtet hatte, hatte ich Lust darauf, wieder was Neues zu unterrichten.

00:01:45: Meine Forschung hat sich eigentlich nicht verändert.

00:01:47: Ich habe immer schon einerseits Politische Theorie gemacht, andererseits aber auch empirische Demokratieforschung.

00:01:55: Und das waren in der Forschung Themen, die sozusagen in beiden Bereichen verankert sind.

00:01:59: Und ich hatte dann Lust, in der Lehre nochmal was Neues zu machen. Und Politische Theorie, was ein Teilbereich ist,

00:02:05: mit dem viele Studierende auch ein bisschen fremdeln am Anfang.

00:02:08: Das klingt alles ... Theorie ist so abstrakt.

00:02:10: Ich möchte lieber was Praktisches, Empirisches machen.

00:02:13: Und das habe ich als eine Herausforderung gesehen, die Studierenden direkt am Anfang des Studiums abzuholen und ihnen deutlich zu machen, dass auch dann, wenn sie praktischen

00:02:22: Herausforderungen begegnen wollen, dass sie trotzdem auch die Politische Theorie brauchen als Grundlage.

00:02:27: Und deshalb habe ich dann ja streng genommen, ich habe eigentlich nur die Denomination, also den Namen der Professur, und die damit verbundenen

00:02:34: Aufgaben verändert, aber nicht eine neue Professur übernommen.

00:02:39: Das finde ich total interessant, dass Sie das jetzt ansprechen.

00:02:42: Das wollte ich auch in meiner nächsten Frage so ein bisschen thematisieren, weil eben dieses Feld der Politischen Theorie ja doch etwas schwieriger zu greifen ist.

00:02:51: Also auch für mich in meiner Vorbereitung hatte ich schon ein bisschen Schwierigkeiten, alles immer so richtig verstehen zu können.

00:02:58: Deswegen wollte ich darauf eingehen und mal fragen, was zeichnet denn das Feld der Politischen Theorie speziell aus, dass sie so theoretisch ist dem Namen nach.

00:03:09: Die Politische Theorie formuliert Systeme von Aussagen, die miteinander zusammenhängen.

00:03:14: Es ist Politische Theorie insofern, als dass es sich auf politische Institutionen, politische Prozesse, politisches Verhalten bezieht.

00:03:22: Also das ist der Gegenstand politischer Theorien.

00:03:25: Und dann kann man noch mal weiter unterscheiden zwischen sogenannten normativen Theorien.

00:03:30: Normative Theorien machen Aussagen darüber, wie diese sein sollten, also wie Institutionen beschaffen sein sollten,

00:03:37: wie politische Prozesse ablaufen sollten, wie politische Akteure sich verhalten sollten.

00:03:42: Das ist der eine Typ von Theorien, mit denen wir es zu tun haben.

00:03:45: Und auf der anderen Seite haben wir aber auch empirische Theorien.

00:03:48: Und empirische Theorien machen eben Aussagen darüber, wie die Dinge sind, wie sie kausal miteinander zusammenhängen.

00:03:55: Und empirische Theorien sind Theorien, die wir auch empirisch überprüfen, also aus denen wir Hypothesen ableiten, die wir in der empirischen Politikforschung prüfen.

00:04:06: Normative Theorien sind aber auch ganz wichtig, denn viele der Schlüsselbegriffe der Politikwissenschaft und des politischen Denkens, wie beispielsweise der Demokratiebegriff,

00:04:16: der ja quasi im Mittelpunkt unseres Faches steht, sind natürlich ganz stark normative Begriffe.

00:04:23: Eine empirische Demokratietheorie wäre eine Theorie, die etwas darüber sagt, wie zum Beispiel ein bestimmtes Wahlsystem wirkt auf politische Prozesse.

00:04:32: Ich würde zum Beispiel sagen, ja, in einem

00:04:34: politischen System, in dem wir ein Mehrheitswahlsystem haben, wie etwa in den USA oder in Großbritannien, führt das eher dazu, dass Kandidaten, Parteien, die gar keine Mehrheit

00:04:46: haben, trotzdem eine Mehrheit der Parlamentssitze gewinnen.

00:04:50: Und das Problem haben wir zum Beispiel in Systemen mit Verhältniswahlrecht wie dem deutschen System eher nicht.

00:05:02: Es klingt ganz logisch.

00:05:04: Wer die meisten Stimmen bekommt, gewinnt.

00:05:07: Doch das stimmt nicht immer.

00:05:09: Und das liegt am jeweiligen Wahlsystem.

00:05:13: Ein Beispiel:

00:05:14: In sogenannten Mehrheitswahlsystemen, wie in den USA oder Großbritannien, wird in jedem Wahlkreis nur eine Person gewählt,

00:05:24: diejenige mit den meisten Stimmen.

00:05:27: Eine Besonderheit ist,

00:05:28: dass eine Partei zwar landesweit weniger Stimmen bekommen kann, sie aber trotzdem mehr Sitze gewinnt, weil sie in den entscheidenden Wahlkreisen knapp vorne liegt.

00:05:39: So kann also eine Minderheit der Stimmen zu einer Mehrheit der Sitze führen.

00:05:45: Ganz anders funktioniert das Verhältniswahlrecht, wie wir es etwa in Deutschland oder den Niederlanden kennen.

00:05:52: Hier sollen die Sitze im Parlament

00:05:54: möglichst genau dem Anteil der Stimmen entsprechen, den eine Partei erhält.

00:05:59: Das gilt als gerechter, führt aber oft zu Koalitionen, weil selten eine Partei allein die Mehrheit erreicht.

00:06:08: Das heißt, wir haben sozusagen Theorien, die was sagen über einen kausalen Zusammenhang zwischen einer Institution, einem Regelsystem und bestimmten Ergebnissen der Politik.

00:06:19: Diese Aussagen, die empirische Theorien machen, die wir auch Hypothesen dann nennen, die können wir empirisch in der Welt überprüfen.

00:06:27: Sie haben jetzt ganz passend schon ausgedrückt viele verschiedene Theorien.

00:06:31: Wir widmen uns jetzt einigen davon, wenn auch nicht allzu vielen.

00:06:35: Einen Vortrag, den Sie mal gehalten haben, den fand ich sehr interessant.

00:06:39: Da haben Sie darüber geschrieben an der Uni Karlsruhe, dass Demokratie als Begriff und Regierungsform bei uns in Deutschland ja grundlegend sehr positiv konnotiert ist.

00:06:48: Es gehört sozusagen zum guten Ton, sich als Demokratin oder Demokrat zu bezeichnen.

00:06:54: In einem Ihrer Projekte untersuchen Sie dann verschiedene Konzepte von Demokratie, sowohl in Deutschland als auch in den USA.

00:07:01: Ich habe mich gefragt, was hat Ihre Forschung denn dazu ergeben?

00:07:04: Haben die Menschen tatsächlich verschiedene Vorstellungen davon, was Demokratie so grundlegend ist?

00:07:10: Das ist ein ganz spannender Punkt, wie Sie richtig gesagt haben.

00:07:14: Demokratie ist ein sogenannter Zustimmungsbegriff.

00:07:17: Wir alle wollen als Demokraten gesehen werden.

00:07:20: Wir alle oder fast alle von uns nehmen in Anspruch, die Demokratie zu verteidigen, gute Demokraten zu sein.

00:07:26: Das ist etwas, was sich ideengeschichtlich spannenderweise geändert hat.

00:07:30: Der Demokratiebegriff hat in der Geschichte der politischen Ideen so eine Positivierung erfahren.

00:07:36: Gleichzeitig ist es aber auch ein umstrittener Begriff.

00:07:40: Das heißt, Menschen verstehen unter Demokratie durchaus unterschiedliche Dinge oder man kann es so sagen, es gibt vielleicht sozusagen eine grundlegende Übereinstimmung mit Blick

00:07:50: auf die Frage der Demokratie und die Frage ist die, wie soll man Volksherrschaft organisieren?

00:07:56: Aber auf diese Frage werden jetzt eben unterschiedliche Antworten gegeben von unterschiedlichen politischen Akteuren, aber auch von Bürgerinnen und Bürgern.

00:08:04: Die Antworten auf diese Frage, wie Volksherrschaft zu organisieren ist, ist durchaus unterschiedlich.

00:08:08: Das heißt,

00:08:09: würden wir sagen, sie haben unterschiedliche Demokratiekonzeptionen.

00:08:14: Wir haben jetzt in dem entsprechenden Forschungsprojekt, in dem wir uns Demokratiekonzeptionen angucken, einmal von Bürgerinnen und Bürgern und auf der anderen

00:08:22: Seite aber auch von politischen Eliten, konnten wir durchaus unterschiedliche Demokratiekonzeptionen identifizieren.

00:08:29: Das heißt, wir sehen durchaus einen Dissens.

00:08:32: Wir sehen, dass sowohl die politischen Eliten als auch die Bürgerinnen und Bürger sich

00:08:37: uneins darüber sind, wie Demokratie genau zu organisieren ist, was sie zu leisten hat, was wir von ihr erwarten.

00:08:44: Wie definieren Sie denn diese politischen Eliten?

00:08:47: Zunächst mal ist es ja so, dass wir in modernen Demokratien quasi die Notwendigkeit politischer Repräsentation haben.

00:08:54: Also unsere zeitgenössischen Demokratien sind alle repräsentative Demokratien.

00:08:59: Und das bedeutet, wenn wir demokratische Repräsentation haben, haben wir automatisch eine gewisse Ungleichheit zwischen denjenigen, die Entscheidungen treffen und denjenigen, die

00:09:11: diesen Entscheidungen dann letztlich unterworfen sind.

00:09:14: Das heißt, Bürgerinnen und Bürger beteiligen sich ja an der Demokratie, an der repräsentativen Demokratie im Wesentlichen dadurch, dass sie die Entscheidungsträger*innen

00:09:22: wählen.

00:09:23: Sie sind also selber nur noch indirekt für Entscheidungen verantwortlich.

00:09:27: Und diejenigen dann, die Entscheidungsträger sind, die Gesetze machen, die betrachten wir als politische Eliten.

00:09:33: Und wir haben im Projekt konkret untersucht, Bundestagsabgeordnete, aber auch Landtagsabgeordnete, denn Gesetze werden ja

00:09:41: in Deutschland genauso wie in den USA, was unser Vergleichsland ist, nicht nur auf der Bundesebene, sondern auch auf der Landesebene getroffen.

00:09:49: Und das sind die politischen Eliten, die wir untersuchen.

00:09:51: Jetzt in der zweiten Förderphase des Projektes gucken wir uns auch Lokalpolitiker*innen an, denn die treffen ja durchaus auch in ihren Kommunen relevante politische Entscheidungen.

00:10:01: Das heißt, politische Eliten, das ist relativ groß, relativ breit.

00:10:05: Wir denken jetzt nicht nur an die Amtsträger in der Regierung,

00:10:09: sondern sogar primär denken wir an die Gesetzgeber, das heißt an gewählte Abgeordnete auf allen politischen Ebenen.

00:10:16: Können Sie vielleicht ermitteln oder konnten Sie erkennen, wo da dieser Dissens, diese unterschiedliche Wahrnehmung dieser Demokratie herkommt zwischen den politischen Eliten und der

00:10:26: Bevölkerung?

00:10:27: Also zunächst muss man sagen, dass es Dissens gibt, sowohl innerhalb der Gruppe der Bürgerinnen und Bürger als auch innerhalb der Gruppe der politischen Eliten.

00:10:38: Und dann gibt es noch gewisse Differenzen zwischen sozusagen den Durchschnittswerten der Gesamtheit der Bürgerinnen und Bürger auf der einen Seite und den politischen Eliten auf

00:10:46: der anderen Seite.

00:10:48: Zunächst mal kann man sagen, was wir finden, sowohl bei den Bürgerinnen und Bürgern als auch bei den politischen Eliten

00:10:55: ist so bisschen die Konkurrenz zwischen auf der einen Seite einem sehr volkszentrierten populistischen Demokratieverständnis und auf der anderen Seite sozusagen der gleichen

00:11:06: Dimension einem sehr institutionenzentrierten, elitistischen Demokratieverständnis.

00:11:16: Wir haben gehört, dass Frau Professorin Landwehr beim Demokratieverständnis zwei Formen unterscheidet.

00:11:24: Aber was bedeuten diese beiden Begriffe?

00:11:27: Zuerst zum volkszentrierten populistischen Demokratieverständnis.

00:11:32: Wie der Name schon vermuten lässt, sieht man hier das Volk als einheitliche Gemeinschaft.

00:11:38: Man geht also davon aus, dass die Gemeinschaft Interessen und Werte teilt und so eine gemeinsame Stimme hat.

00:11:45: Populistische Politikerinnen und Politiker behaupten, direkt für dieses Volk zu sprechen, und stellen sich dabei oft gegen eine vermeintlich korrupte Elite oder gegen Institutionen

00:11:57: wie Parlamente und Gerichte.

00:12:00: Im Unterschied zu einem liberalen Demokratieverständnis, das Vielfalt, Kompromisse und rechtsstaatliche Grenzen betont, sieht der populistische Ansatz solche Regeln häufig als

00:12:11: Hindernis für den sogenannten wahren

00:12:14: Volkswillen.

00:12:16: Demokratie bedeutet hier also nicht die Aushandlung unterschiedlicher Interessen, sondern die unmittelbare Durchsetzung dessen, was als Wille des Volkes gilt, auch wenn dabei

00:12:27: Minderheiten oder abweichende Meinungen an den Rand gedrängt werden.

00:12:33: Ein institutionenzentriertes, elitistisches Demokratieverständnis geht davon aus, dass Demokratie vor allem durch stabile Institutionen

00:12:42: und verantwortungsbewusste Eliten funktioniert, nicht durch die direkte Beteiligung aller Bürgerinnen und Bürger.

00:12:51: In dieser Sicht ist Politik eine komplexe Aufgabe, die Fachwissen, Erfahrung und Kontrolle braucht.

00:12:58: Wahlen dienen hier vor allem dazu, kompetente Vertreter*innen zu bestimmen, die dann im Namen des Volkes handeln.

00:13:07: Im Gegensatz zu einem volkszentrierten Verständnis

00:13:11: steht also nicht der unmittelbare Volkswille im Mittelpunkt, sondern die institutionellen Verfahren, die Macht begrenzen und rationales Regieren sichern sollen.

00:13:22: Demokratie bedeutet in diesem Modell weniger direkte Mitsprache, sondern vor allem geordnetes, verantwortliches Regieren durch legitimierte Eliten innerhalb klarer Regeln.

00:13:36: Das finden wir tatsächlich sowohl innerhalb der Gruppe der Bürgerinnen und Bürger als auch innerhalb der Gruppe der Eliten und in Deutschland und den USA -

00:13:44: also diese Differenz zwischen einem eher, jetzt ein bisschen vereinfacht gesagt, populistischen Demokratieverständnis und einem elitistischen Demokratieverständnis.

00:13:54: Was wir darüber hinaus noch sehen, besonders in Deutschland, ist eine starke Zustimmung zu einem sogenannten deliberativen Demokratieverständnis.

00:14:03: Das heißt, sowohl die politischen Eliten und zwar auf Überpartei-Grenzen hinweg als auch die Bürgerinnen und Bürger stimmen sehr stark Aussagen zu, wie etwa derjenigen, dass

00:14:14: Entscheidungen im Gespräch auf Basis eines Austauschs aller relevanten Argumente getroffen werden sollen und eben nicht durch eine reine Mehrheitsentscheidung.

00:14:24: Gleichzeitig, und jetzt kommen wir zu den Unterschieden zwischen Eliten und Bürgerinnen und Bürgern, sehen wir auf der Seite der Bürger*innen, dass

00:14:33: die sich doch auch mehr direkte Beteiligungsmöglichkeiten wünschen.

00:14:37: Wir sehen eine relativ starke Zustimmung zu direktdemokratischen Entscheidungsverfahren wie Volksabstimmungen beispielsweise.

00:14:45: Und wir sehen den Wunsch, dass die gewählten Repräsentanten, die Abgeordneten, sich stärker am Wählerwillen und weniger stark an der Parteilinie oder dem eigenen Gewissen

00:14:56: orientieren.

00:14:58: Jetzt haben Sie ja, wie schon erklärt, dieses Projekt nicht nur in Deutschland durchgeführt, sondern eben auch in den USA.

00:15:05: Welche Unterschiede und vielleicht auch Gemeinsamkeiten konnten Sie denn da zwischen den beiden Ländern finden?

00:15:11: An Gemeinsamkeiten finden wir zum einen eben diese Opposition zwischen eher populistischen und eher elitistischen Demokratieverständnissen.

00:15:20: Gleichzeitig sehen wir aber als Unterschied, wenn wir jetzt erstmal auf die politischen Eliten blicken in den USA, dass die politischen Eliten in den USA schon ein sehr viel

00:15:29: stärker populistisches Demokratieverständnis haben im Durchschnitt als die politischen Eliten in Deutschland.

00:15:35: Also die Abgeordneten in Deutschland haben da eher eine

00:15:39: moderate, ausgewogene Position, so in der Mitte zwischen diesen beiden Extremen. Wohingegen die Abgeordneten in den USA ganz klar auf der populistischen Seite dieses Spektrums sich

00:15:50: mehrheitlich verorten.

00:15:51: Das ist ein großer Unterschied.

00:15:53: Also für mich als Privatperson klingt das sehr begrüßenswert für uns in Deutschland.

00:15:58: Also ich wünsche mir ja so wenig Populismus eigentlich wie möglich.

00:16:01: Würden Sie das in der Forschung auch bestätigen?

00:16:08: Der Begriff des Populismus taucht in politischen Diskussionen und auch in diesem Podcast häufiger auf.

00:16:15: Einige Merkmale machen deutlicher, was man darunter versteht.

00:16:20: Populistische Bewegungen oder Politiker*innen behaupten oft, den wahren Willen des Volkes zu vertreten, unabhängig von etablierten Institutionen oder komplexen politischen

00:16:31: Prozessen.

00:16:33: Charakteristisch sind eine vereinfachte Sprache,

00:16:36: eine starke emotionale Ansprache und die Vorstellung einer klaren Trennung zwischen wir hier unten und die da oben.

00:16:46: Dabei kann Populismus sowohl rechts als auch links gerichtet sein.

00:16:50: Einerseits kann er auf Missstände aufmerksam machen und Beteiligung fördern, andererseits aber demokratische Strukturen und Schwächen, wenn er Kompromisse und Pluralismus ablehnt.

00:17:02: Ja, wobei natürlich, wenn wir jetzt von Populismus sprechen, müssen wir vielleicht vorsichtig sein, da nicht immer sofort und automatisch an Donald Trump oder an die AfD zu

00:17:14: denken.

00:17:14: Das sind natürlich für die Demokratie sehr gefährliche populistische Akteure.

00:17:19: Aber nicht jeder, der populistische Demokratiekonzeptionen hat oder populistische Einstellungen insgesamt, wählt auch entsprechende rechtsradikale oder rechtspopulistische

00:17:29: Parteien.

00:17:30: Also dieses stärker

00:17:32: volkszentrierte Demokratieverständnis ist viel weiter verbreitet in der Bevölkerung, auch in der deutschen Bevölkerung, als die Wahl der AfD, als einer populistischen Partei.

00:17:45: Und ich denke, wenn man da ein bisschen differenziert, kann man erkennen, dass es auf Seiten der Bürger*innen eben diesen Wunsch gibt, dass sich die Politik stärker

00:17:55: am vermeintlichen Willen der Wählerinnen und Wähler orientiert, dass sie responsiver ist für die Anliegen der Wählerinnen und Wähler, dass es mehr Möglichkeiten für die

00:18:04: Bürger*innen gibt, auch die Politik zu sanktionieren, zu bestrafen, wenn eben nicht die Entscheidungen getroffen werden, die man sich wünscht.

00:18:12: Und diesen Wunsch kann man ernst nehmen zunächst mal und man kann ihn auch sehen als vielleicht ein Resultat davon, dass die Politik bisher eben

00:18:23: nicht hinreichend responsiv ist, nicht gut genug auch Entscheidungen begründet, erklärt den Bürgerinnen und Bürgern gegenüber.

00:18:30: Also das kann man durchaus auch sehen als eine Reaktion auf Defizite der repräsentativen Demokratie.

00:18:37: Insofern würde ich schon sagen, ja, es ist für Deutschland ein positives Ergebnis, dass die politischen Parteien schon auch den Wert repräsentativdemokratischer Institutionen

00:18:48: selbst anerkennen, dass sie

00:18:51: mit Ausnahme der AfD in der Lage sind, über Parteigrenzen hinweg, politische Lager hinweg miteinander zusammenzuarbeiten, einander zu vertrauen.

00:19:00: Also das kann man schon für Deutschland positiv sehen und für die USA ist ein eher besorgniserregenden Befund.

00:19:07: Und wenn wir sehen, was aktuell in den USA los ist, unsere Daten sind etwas älter schon, also sind aus dem Jahr 2023, also bevor Donald Trump wieder zum Präsidenten gewählt wurde.

00:19:18: Und da kann man schon da sozusagen

00:19:20: ein frühes Warnzeichen sehen für das, was sich dann anschließend in den USA ereignet hat.

00:19:26: Ich möchte noch auf ein zweites Projekt zu sprechen kommen, an dem Sie beteiligt sind.

00:19:31: Bei dem geht es um falsche Konsensannahmen in der Politik und deren Auswirkungen.

00:19:35: Und ich dachte mir, ich versuche, das jetzt mal selber zu umschreiben, und Sie können mir dann gleich Feedback geben, ob ich das auch alles richtig verstanden habe.

00:19:44: Ich habe das nämlich so wahrgenommen, dass die Theorie, an der Sie arbeiten, so funktioniert:

00:19:49: Wir sind in unserer heutigen Zeit diversen Formen von Informationen ausgesetzt und bewegen uns in verschiedenen

00:19:56: sozialen Gruppen.

00:19:57: Und dadurch, dass unsere Wahrnehmung vom großen Ganzen daher eher selektiv ist, sind unsere Schlussfolgerungen zu politischen Fragen unvollständig.

00:20:07: Und wir glauben dann also, dass ein gewisser Konsens besteht, der aber möglicherweise gar nicht existiert oder nur in einem Teil der Bevölkerung.

00:20:16: Würden Sie das bestätigen?

00:20:18: Ja, also das haben Sie eigentlich ganz richtig dargestellt.

00:20:21: Diese falschen Konsensannahmen, das ist ein Phänomen, was in der Sozialpsychologie schon sehr lange bekannt ist.

00:20:28: Und die Sozialpsychologie hat das anfangs untersucht mit Blick auf so alltägliche Konsumpräferenzen.

00:20:35: Also zum Beispiel Leute, die gerne Schwarzbrot mögen, denken, dass alle anderen auch gerne Schwarzbrot mögen.

00:20:40: Und die, die lieber Weißbrot essen, denken, dass alle anderen auch am liebsten Weißbrot essen.

00:20:44: Das ist natürlich in dem Fall bei solchen Alltagsentscheidungen ein ganz lustiges Phänomen, über das man sich amüsieren kann.

00:20:52: Und wenn man dann feststellt, es ist ja ganz anders, dann ist das auch irgendwie interessant und informativ, aber nicht weiter schwerwiegend.

00:21:00: Wenn wir uns aber diese falschen Konsensannahmen in einem politischen Kontext angucken, dann gewinnen die erheblich an Präsenz.

00:21:08: Denn in der Demokratie ist es ja so,

00:21:11: dass, ob es für eine Entscheidung eine Mehrheit gibt oder nicht, ausschlaggebend dafür ist, ob diese Entscheidung als legitim angesehen wird.

00:21:19: Also grundsätzlich erwarten wir, dass demokratische Mehrheiten in der Tendenz das bekommen, was sie sich wünschen und dass keine Entscheidungen getroffen werden gegen

00:21:29: demokratische Mehrheiten.

00:21:30: Und jetzt wird es auf einmal relevant, ob das, was ich will, auch andere wollen oder nicht.

00:21:36: Und wenn ich jetzt systematisch die Zustimmung der anderen zu meiner eigenen

00:21:40: präferierten Politik überschätze, dann kann es sein, dass die Politik zwar perfekt responsiv ist, also durchaus im Sinne der Mehrheit entscheidet, dass aber ich, weil ich eben

00:21:53: eine falsche Konsensannahme habe, eine falsche Annahme darüber, was die Mehrheitsmeinung ist, die Politik eben als nicht responsiv, als sozusagen nicht mehr in Kontakt mit der

00:22:02: Mehrheitsmeinung wahrnehme und ihr deswegen auch die Legitimität abspreche.

00:22:07: Es kann dann so sein, es gibt ja ganz viele politische Themen, und es könnte sein, dass jeder so seine Themen hat, bei denen er sich in der Mehrheit wähnt, tatsächlich aber in

00:22:17: der Minderheit ist, und deshalb wir alle die Politik als irgendwie nicht responsiv wahrnehmen und als nicht in Einklang mit der Mehrheitsmeinung, selbst dann, wenn sie es

00:22:27: tatsächlich ist.

00:22:28: Und das führt natürlich zu erheblichen Legitimitätsproblemen, die wir in dem Projekt untersuchen und wo natürlich in dem Sinne dann auch eine

00:22:36: Verbindung zu dem anderen Projekt besteht, wo wir uns eben auch solche volkszentrierten, mehrheitszentrierten Demokratiekonzeptionen angucken, die tatsächlich auch stark

00:22:46: assoziiert sind mit solchen falschen Konsensannahmen.

00:22:50: Ganz wichtiges Thema für unser Zusammenleben.

00:22:53: Können Sie da auch Einschätzungen abgeben, welchen Einfluss das auf unsere Gesellschaft hat, auf unser Zusammenleben?

00:23:00: Es ist zunächst mal einfach spannend zu schauen, wie verbreitet sind diese falschen Konsensannahmen.

00:23:06: Da konnte ich in diesem Projekt, an dem ich gemeinsam mit dem Kollegen Nils Steiner arbeite, konnten wir zeigen, dass die doch sehr weit verbreitet sind in politischen

00:23:15: Fragen.

00:23:16: Und zwar, und das ist auch wichtig, durchaus über politische Lager hinweg.

00:23:21: Also es sind nicht nur die Rechten, die falsche Konsensannahmen hegen, sondern es sind auch die Linken,

00:23:27: die tendenziell überschätzen, wie viele mit ihrer eigenen Position übereinstimmen.

00:23:31: Welche Auswirkungen hat das jetzt?

00:23:33: Wir konnten zeigen, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen solchen falschen Konsensannahmen und populistischen Einstellungen und auch der Wahl populistischer

00:23:41: Parteien, also in Deutschland konkret der AfD.

00:23:44: Das wäre eine Auswirkung.

00:23:46: Dann kann man natürlich einfach nochmal breiter schauen, was bedeutet das für die politische Öffentlichkeit, dafür, wie sich vielleicht auch die politische Öffentlichkeit

00:23:54: verändert hat.

00:23:56: Da können wir sozusagen die Zunahme dieses Phänomens falscher Konsensannahmen sehen, auch als ein Resultat des Medienbandels, der sich verändernden Informationsumgebungen, der

00:24:07: Fragmentierung auch des deutschen Mediensystems, wo es zunehmend dazu kommt, dass eben Menschen sich in Kontexten bewegen und informieren, in denen einfach alle ihrer Meinung

00:24:17: sind.

00:24:18: Also man spricht ja auch von Filter-Bubbles und Echo-Kammern und so weiter und

00:24:23: dort kriegen Sie immer wieder Ihre eigene Meinung gespiegelt und das erklärt dann auch, warum Sie stärker, als Sie ohnehin vielleicht schon die Tendenz haben, überschätzen, wie

00:24:33: hoch der Anteil derjenigen ist, die mit Ihnen übereinstimmen in Ihren politischen Präferenzen.

00:24:38: Ganz, ganz wichtiger Aspekt.

00:24:39: Vielen Dank für diese Erklärung.

00:24:42: Ich komme jetzt noch zu einem dritten Überthema, das ich auch bei Ihnen gefunden habe.

00:24:47: Ich leite das mal ein:

00:24:49: Einer der bedeutendsten deutschen Demokratie-Theoretiker ist Jürgen Habermas.

00:24:54: Und der hat unter anderem auch geschrieben, dass Bürger*innen, also ich umschreibe das jetzt natürlich wieder hier, das ist kein Zitat, dass Bürgerinnen und Bürger sich selbst als

00:25:03: Autoren der Gesetze im Staat sehen.

00:25:05: Und dadurch, dass sie diese Gesetze selbst

00:25:08: geben, stellen sie einen Zusammenhang zum eigenen Leben her.

00:25:12: An dieser Stelle bin ich doch etwas stutzig geworden.

00:25:14: Würden Sie persönlich sagen, dass der Großteil unserer Bevölkerung das wirklich so sieht?

00:25:19: Ich kann mir das irgendwie schwer vorstellen, weil ich ja schon sehr häufig Menschen auf den Staat oder auf die Politik schimpfen höre.

00:25:28: Also das ist eine ganz spannende Frage und in der Tat Jürgen Habermas ist sicherlich einer der wichtigsten politischen Denker in Deutschland und zwar nicht nur für das Fach

00:25:39: der Politikwissenschaft und Politischen Philosophie, sondern auch in der Öffentlichkeit natürlich ein unglaublich prominenter öffentlicher Intellektueller.

00:25:48: Er sagt, dass Bürgerinnen und Bürger in einer Demokratie sich in irgendeinem Sinne, wie Sie richtig sagen, selbst als Autoren

00:25:56: der Gesetze begreifen können müssen, denen sie unterworfen sind.

00:26:01: Gleichzeitig ist Habermas aber kein Vertreter einer sogenannten identitären Demokratietheorie.

00:26:07: Das heißt, was er damit nicht meint, ist, dass Herrscher und Beherrschte personell identisch sein müssen.

00:26:14: Das wäre ja nur in einer sehr direkten Demokratie möglich.

00:26:18: So ein identitäres Demokratieverständnis ist tatsächlich etwas, was wir bei der AfD sehr stark finden.

00:26:24: Und seine Idee ist, dass es so aussieht, dass wir eine kritische Zivilgesellschaft, eine Öffentlichkeit haben, die das politische System, in dem die Entscheidungsträger*innen

00:26:34: agieren, quasi belagert. Und die, wie er das sagt, mit einem Zitat, den Pool der Gründe verwaltet, auf den die Entscheidungsträger dann zurückgreifen können, um politische Entscheidungen zu

00:26:46: rechtfertigen.

00:26:48: Das heißt, diese Autorenschaft, die Bürgerinnen und Bürger in Habermas' Modell haben,

00:26:53: ist doch eine sehr vermittelte, eine sehr indirekte Autorenschaft.

00:26:57: Und wenn Sie jetzt fragen, ja, wie sehen denn die Bürgerinnen und Bürger selbst das, wie nehmen sie selbst die Demokratie wahr, dann kann man sagen, also alle wollen tendenziell,

00:27:07: dass Entscheidung im Gespräch und auf Basis der Berücksichtigung aller relevanten Argumente, der Berücksichtigung aller betroffenen Gruppen und so weiter getroffen werden.

00:27:17: Also der Teil kommt gut an.

00:27:20: Gleichzeitig

00:27:22: haben schon viele Bürgerinnen und Bürger ein Problem damit, dass eben diese Autorenschaft, die sie an oder die Mitwirkung, die sie haben an Gesetzen, dass die nur eben sehr vermittelt und indirekt

00:27:33: ist.

00:27:34: Und was wir eben durchaus sehen, ist, dass sich viele Bürgerinnen und Bürger mehr Mitsprachemöglichkeiten wünschen, mehr Kontrolle auch über die Entscheidungsträger*innen.

00:27:43: Wenn man Bürgerinnen und Bürger fragt, können sie sich als Autoren der Gesetze verstehen, denen sie unterworfen sind, stimme ich Ihnen zu, würden die meisten,

00:27:51: das haben wir nicht getan, aber wenn man fragen würde, würden die meisten eher mit "Nein" antworten.

00:27:56: Da bin ich mir sicher.

00:27:58: Und vielleicht noch eine ganz grundlegende Frage der Politikwissenschaft,

00:28:02: die haben Sie vielleicht auch schon oft gehört, weil Sie haben jetzt ja gerade eigentlich über das halbe Gespräch, haben Sie ja sehr viel auch immer wieder zwischen repräsentativer Demokratie

00:28:10: und direkter Demokratie unterschieden,

00:28:13: was würden Sie sagen, hält uns denn davon ab, mehr direkte Demokratie anzuwenden?

00:28:19: Gerade wenn wir jetzt hören, wie Sie gesagt haben, dass sich das doch immer wieder gewünscht wird.

00:28:23: Also zunächst mal muss man sagen, dass Repräsentation eigentlich eine Voraussetzung ist dafür, dass Demokratie überhaupt gelingen kann.

00:28:33: Es gibt keine reine direkte Demokratie.

00:28:36: Das ist in modernen Massen-Demokratien nicht denkbar, aber auch die antike Demokratie in Athen war letztlich auch in Teilen eine repräsentative Demokratie, in der einige wenige

00:28:48: für die vielen entschieden haben.

00:28:50: Denn es war nie tatsächlich alle Bürgerinnen und Bürger

00:28:53: gleichzeitig tatsächlich anwesend, um Entscheidungen zu treffen.

00:28:56: Also auch da gab es Elemente der Repräsentation schon.

00:29:00: In modernen Massendemokratien ist es ganz klar, dass Entscheidungen in Teilen delegiert werden müssen an Politikerinnen und Politiker, an gewählte Abgeordnete, die dann in

00:29:10: unserem Namen und Interesse Entscheidungen treffen.

00:29:13: Aber es gibt natürlich die Forderung, danach, dass man die

00:29:17: repräsentative Demokratie ergänzt, um mehr direktdemokratische Elemente, wie das etwa in der Schweiz der Fall ist, wo wir sehr stark ausgebaute, direkte Demokratie haben.

00:29:28: Und es gibt Argumente, die dafür sprechen.

00:29:31: Wir sehen das auch relativ erfolgreich in Deutschland schon auf der kommunalen Ebene, ein bisschen seltener auch auf der Landesebene, dass einzelne, sehr saliente, sehr wichtige

00:29:42: Themen dann über Volksentscheide entschieden werden.

00:29:46: Das Problem bei solchen direktdemokratischen Entscheidungen ist, dass gerade dann, wenn man die häufig hat, wenn man viele solcher Entscheidungen hat, dass oft der Anteil

00:29:55: derjenigen, die sich an so einer direktdemokratischen Entscheidung beteiligt, also an einem Volksentscheid, das dennoch deutlich geringer ist, als der Anteil derjenigen, die wählen

00:30:05: geht.

00:30:06: Das heißt, wir haben teilweise Beteiligungsquoten von 20-30 Prozent.

00:30:12: Und selbst wenn wir dann da eine Mehrheit finden, angenommen wir haben 30 Prozent Beteiligung, dann ist das natürlich nur eine kleine Minderheit der Gesamtbevölkerung, die

00:30:22: dann diese Entscheidung trifft.

00:30:23: Das ist ein Problem.

00:30:25: Ein anderes Problem ist, dass wir ja auch sehr sozial ungleiche Beteiligung in Deutschland haben.

00:30:31: Also gerade diejenigen, die weniger privilegiert sind, die sozial abgehängt sind, beteiligen sich seltener an Wahlen.

00:30:39: Aber die beteiligen sich noch seltener

00:30:42: an direktdemokratischen Entscheidungen.

00:30:44: Das heißt, es könnte sich über die Ausweitung direktdemokratischer Entscheidungen diese sozial ungleiche politische Beteiligung noch weiter verstärken.

00:30:54: Gerade weil das ja auch so grundlegend ist für unsere gemeinsame Demokratie.

00:30:58: Vielen Dank.

00:30:59: Eine letzte Frage habe ich noch, die mich tatsächlich brennend interessiert, jetzt auch total angewandt,

00:31:05: ist ganz simpel.

00:31:07: Kam bei Ihnen schon mal jemand aus der Politik an die Tür, gerade Sie haben ja jetzt schon viele Jahre Erfahrung, und hat einfach mal gefragt, können Sie mir das erklären oder so,

00:31:18: was ist Ihre Einstellung dazu?

00:31:19: Also haben Sie so Kontakte, wo so direkt einfach sozusagen geklopft wird

00:31:23: und sowas abgefragt wird?

00:31:26: Ja, also tatsächlich an meiner Bürotür hat noch nie jemand geklopft.

00:31:30: Aber wir haben durchaus in Mainz auch Kontakt zu politischen Entscheidungsträger*innen.

00:31:37: Wir haben zum einen das Mercator Science Policy Fellow Programm, wo dann vielleicht nicht der Ministerpräsident kommt, aber wo durchaus Mitarbeiter, Referenten aus Ministerien

00:31:48: kommen, teilweise auch eben aus gehobenen Leitungspositionen in Ministerien,

00:31:53: die dann sehr interessiert und sehr konkret nachfragen

00:31:56: und zwar sowohl aus den Landesministerien als auch aus den Bundesministerien, Stabsstellen und so weiter.

00:32:01: Und die in der Regel sehr interessiert sind an dieser Form von Politikberatung.

00:32:05: Und wir sind auch im Kontakt regelmäßig in Rheinland-Pfalz mit dem Landtag, tauschen uns da aus, stellen aktuelle Forschungsergebnisse vor.

00:32:15: Und ich nehme das Interesse zumindest jetzt in Rheinland-Pfalz und bei der rheinland-pfälzischen Landesregierung

00:32:22: und im rheinland-pfälzischen Landtag an Demokratie, an der Frage, wie können wir Demokratie auch näher an die Bürgerinnen und Bürger bringen,

00:32:30: welche Möglichkeiten für demokratische Innovationen gibt es,

00:32:34: nehme ich durchaus auch ein starkes Interesse wahr und auch eine Offenheit für unsere Forschungsergebnisse.

00:32:40: Es ist natürlich schwieriger, an die Politik ranzukommen, je weiter man entfernt ist.

00:32:46: Natürlich, wenn wir jetzt über die Bundespolitik sprechen,

00:32:49: weiß nicht genau, wer jetzt alles den Bundeskanzler beispielsweise berät, aber es findet auch politikwissenschaftliche Politikberatung statt, wenn sie eben von den Parteien, von

00:33:00: den Entscheidungsträger*innen nachgefragt wird.

00:33:02: Aber das ist, würde ich sagen, durchaus der Fall.

00:33:04: Ich habe jetzt schon mit vielen Ihrer Kolleg*innen gesprochen und habe mich eigentlich immer wieder gewundert, weil auch die Wissenschaft so ein hohes Vertrauen in der Gesellschaft

00:33:13: genießt,

00:33:13: da gab es ja jetzt auch die Studie von der Professorin Fawzi, also Ihrer Kollegin aus der Publizistik, die das eben auch bestätigen konnte, so gesellschaftlich haben wir ein sehr

00:33:22: hohes Vertrauen in die Wissenschaft.

00:33:25: Trotzdem sehe ich selten diese Verbindung zwischen angewandter Politik und dann eben der Politikwissenschaft.

00:33:31: Aber wenn Sie

00:33:32: jetzt doch selber sagen, doch das ist durchaus da, wenn auch jetzt vielleicht nicht so direkt im Kontakt.

00:33:38: Man muss man jetzt auch nicht an Ihre Tür klopfen, aber freut man sich ja doch, dass da gewisser Kontakt da ist.

00:33:43: Ja, ich denke, die Voraussetzung ist da oft, dass politisch schon etwas geplant ist, dass schon etwas angedacht ist, dass man sich schon geeinigt hat auf eine bestimmte Zielsetzung

00:33:53: und dann holt man sich dementsprechend die Expertise.

00:33:57: Also wenn man da ansetzt, wo bereits konkrete Maßnahmen angedacht sind, wie beispielsweise Bürgerrat Ernährung war so eine große Sache, wo man versucht hat, Bürgerinnen und Bürger

00:34:09: direkter über so ein deliberatives Verfahren an der Politik zu beteiligen.

00:34:12: Da holen sich dann natürlich die Organisatoren und die Entscheidungsträger immer auch die politikwissenschaftliche Expertise dazu.

00:34:20: Aber bei anderen Themen muss ich auch sagen, ist es natürlich schwieriger, die auf die Agenda zu bringen, wenn von Seiten der Politik dieses grundlegende Interesse erstmal noch fehlt.

00:34:30: Frau Professorin Landwehr, vielen Dank für Ihre spannenden Antworten.

00:34:33: Wir haben gemerkt, politische Theorie kann durchaus auch angewandt sein.

00:34:37: Vielen herzlichen Dank, das hat sehr viel Spaß gemacht.

00:34:42: Das war mein Gespräch mit Professorin Claudia Landwehr.

00:34:45: Mit Sicherheit ist den meisten bewusst, dass Demokratie ein komplexes Konstrukt ist, das unterschiedlich interpretiert werden kann.

00:34:52: Für mich ist im Gespräch aber noch offensichtlicher geworden, dass diese verschiedenen Vorstellungen von Demokratie durchaus Folgen für unser Zusammenleben haben.

00:35:01: Ich vermute, dass so manche politische Diskussion schon alleine dadurch zielführender werden könnte, wenn die einzelnen Parteien sich der Werte und Vorstellungen der anderen

00:35:10: Seite bewusst wären.

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