Folge 20: Alles nur Lug und Trug? Wie entstehen Verschwörungsmythen und warum machen uns Stereotype das Leben leichter?

Shownotes

Mehr zum Thema unter folgenden Links: Forschungspofil der Johannes Gutenberg-Universität Mainz [Professor Roland Imhoff] (https://www.sozrepsy.uni-mainz.de/prof-dr-roland-imhoff/) Forschungspodcast

Moderator: Daniel Reißmann Musik: "Pizzicato Adventure” von Alejandro Del Pozo (premiumbeat.com)

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„Alles nur Lug und Trug? Wie entstehen Verschwörungsmythen und warum machen uns Stereotype das Leben leichter?“

mit Prof. Roland Imhoff

Autor

Die Welt ist komplex. Täglich sehen und hören wir vieles, was wir einfach glauben müssen – weil wir es zum Beispiel nicht nachprüfen können. Wie soll ich überprüfen, ob die Inflation wirklich um so und so viel Prozent steigt? Oder wie will ich nachvollziehen können, was das Durchschnittseinkommen in Deutschland ist? Welche Auswirkungen hat die Corona-Impfung auf meinen Körper? Menschen gelangen auf den unterschiedlichsten Wegen zu ihrem Wissen. Sie vertrauen verschiedenen Quellen, sie bewegen sich in bestimmten Echo- Kammern, sie kommen immer seltener mit anderen Meinungen und Sichtweisen in Berührung. Doch woher können wir wissen, dass die Dinge, die wir für die Wahrheit halten, wirklich wahr sind? Und warum denken wir dann, dass unser Wissen, dem vermeintlich falschen Wissen der anderen überlegen ist? Alles nur Lug und Trug? Wie entstehen Verschwörungsmythen und warum machen uns Stereotype das Leben leichter? Unter anderem darüber sprechen wir heute.

Intro Sprecherin

Minds of Mainz. Der Gutenberg Talk.

Ein Forschungspodcast der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.

Autor

Schön, dass Sie auch bei dieser Podcast-Folge wieder mit dabei sind. Herzlich willkommen. Ich bin Daniel Reißmann und der Gastgeber dieser Forschungs-Podcast-Reihe und gemeinsam tauchen wir in wissenschaftliche Themen und Fragestellungen ein. Es gibt unfassbar viel Spannendes und Faszinierendes zu erfahren. Ich möchte Ihnen durch diese Podcast-Reihe Forschung und Wissenschaft an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz nahebringen – Ihnen zeigen, welche Themen und Fragestellungen die Wissenschaftler*innen der JGU bearbeiten. Ich bin selbst bei den allermeisten Themen ein Laie. Aber die Uni ist zum Glück ein Ort, an dem man zu vielen Themen und Bereichen Expert*innen finden kann. In jeder Podcast-Folge lade ich mir eine Wissenschaftler*in ein, um über ihre/seine Arbeit zu sprechen. So auch in dieser Folge.

Imhoff

Mein Name ist Roland Imhoff. Ich bin an der Uni Mainz Inhaber des Lehrstuhls für Sozial- und Rechtspsychologie. Ich habe Psychologie studiert und in dem Fach promoviert in Bonn, ich bin dann für drei Jahre auf eine Juniorprofessur für Sozialpsychologie, socialcognition, an die Universität zu Köln und habe da 2015 den Ruf von der Uni Mainz erhalten und bin dann seit Oktober 2015 an der Uni Mainz.

Reißmann

Jetzt haben Sie gerade gesagt, dass Sie sich für ein Psychologiestudium damals entschieden haben. Einfache, aber vielleicht nicht ganz leicht zu beantwortende Frage: Warum?

Imhoff

Die ist ganz leicht zu beantworten. Ich habe meinen Zivildienst in einer Körper- und Geistigbehinderten-Schule gemacht und wollte Sonderpädagogik für körperlich und geistig Behinderte studieren und wollte aber nicht unbedingt an einer Sonderschule für den Staat arbeiten. Und bin zur Studienberatung gegangen und hab gefragt, was kann man denn sonst damit machen? Und die haben mir gesagt: gar nichts. Aber machen Sie doch Psychologie.

Und das habe ich dann gemacht, weil die Frau mir ja gesagt hat, ich soll Psychologie machen. Und ich hab's aber nicht bereut. Also ich glaube, ich wäre auch glücklich geworden mit Sonderpädagogik oder mit Lebensmitteltechnik oder irgendwas anderem. Aber ich bin halt einfach bei Psychologie gelandet.

Reißmann

Ich habe in der Vorbereitung gelesen, womit Sie sich beschäftigen: mit Stereotypen, mit Vorurteilen, Verschwörungstheorien. Da kommen wir nachher noch drauf. Wenn wir jetzt mal bei Stereotypen und Vorurteilen bleiben: Kann man ungefähr sagen, wie vielen wir uns davon am Tag bedienen ungefähr oder wie viel Prozent? Oder gibt es überhaupt Situation, wo wir komplett frei davon sind?

Imhoff

Also die Aussage, wie häufig wir uns bedienen, hat ihren Reiz darin, dass wir das irgendwie als etwas Problematisches wahrnehmen, dass wir uns auf Stereotype verlassen oder auf Vorurteile. Tatsächlich ist aber die Sicht der sozialen Kognitions-Forschung ein bisschen wertneutraler und auch ambivalenter. Das sind unglaublich ressourcensparende Schemata, kognitive Schemata, die wir eben auf die Welt anwenden, eben weil wir jeden Tag in neue Situationen kommen. Wir begegnen jeden Tag neuen Menschen. Um uns irgendwie zurechtzufinden, halten wir uns halt an die Strohhalme, die wir haben. Und einer dieser Strohhalme kann sein, dass ich jemanden als einer bestimmten Kategorie zugehörig kategorisiere. Zum Beispiel: Das ist ein Skinhead und rufe aus dem Gedächtnis ab, was ich meine, über Skinheads zu wissen. Die sind irgendwie laut, unhöflich oder was auch immer meine Stereotype sein mögen. Und dann kann ich mein Verhalten entsprechend anpassen. Wenn ich das nicht tun würde, dann würde ich vor jedem Menschen, den ich noch nicht en détail kennengelernt habe, stehen wie ein sich wunderndes Schaf und würde erstmal ratlos sein. Was ist jetzt eine adäquate Herangehensweise? Und das heißt nicht, dass Stereotype immer wahr sind, aber wir brauchen sie, um uns irgendwie in der Welt zurechtzufinden, weil wir natürlich nicht die komplette Weltbevölkerung kennenlernen können, sondern uns irgendwie auf irgendwas stützen müssen. Und sei es auch nur so eine kognitive Krücke wie Vorstellungen davon, wie jemand ist aufgrund von kleinen Bits von Informationen, die wir über die Person haben.

Reißmann

Kann man ungefähr sagen, wann ein Stereotyp oder ein Vorurteil komplett ausgeprägt ist, wenn das quasi so gefestigt ist, dass man was anderes gar nicht mehr zulässt, was dieses Bild, was man hat, irgendwie noch korrigiert?

Imhoff

Stereotype und/oder Vorurteile, das beschreibt was anderes, das beschreibt die Bewertung einer Person aufgrund einer zugeschriebenen Eigenschaft zu einer Kategorie. Sie werden dann problematisch, wenn sie gewissermaßen resistent gegen Korrektur sind. Wenn ich also dem Stereotypen widersprechende Erfahrungen nicht mehr nutze, um mein Stereotyp zu korrigieren, sondern das entweder abwerte als vermutlich falsch oder so Subkategorien aufmache, zu sagen: Ja, Afroamerikaner*innen sind alle sportlich und Barack Obama nicht, aber der ist eine Ausnahme, der gehört zu der kleinen Gruppe von nicht Sportlichen oder was auch immer für Stereotypen. Stereotype sind sehr stabil, sehr schwierig zu widerlegen. Eben gerade, weil wir all diese Mechanismen haben, sie zu stützen. Sind die problematisch?

Bestimmt. Weil ein Stereotyp zu nutzen, um ein Urteil über ein Individuum zu fällen, wird in neun von zehn Fällen nicht fair sein. Ich treffe eine Bibliothekarin und rufe aus meinem Register ab: Bibliothekare sind schüchtern. Dann spreche ich die besser nicht an, weil ich will ihr nicht zu nahetreten. Und die ist lieber bei sich und ihren Büchern. Das ist nicht fair und nicht richtig und hat bestimmt auch soziale Kosten für mich, weil ich die Person nicht richtig kennenlernen und für die Person, weil sie vielleicht mit diesem Stereotyp, das andere von ihr haben, irgendwie umgehen muss. Und dennoch ist es eben Teil der conditio humana. Wir können nicht alle Informationen verarbeiten, wir können nicht jeden Menschen kennen, dem wir zum ersten Mal begegnen, zumindest nicht in einer größeren Gesellschaft. Das mag in Dörfern noch funktionieren.

Sprecherin

Sind Verschwörungstheorien ein Phänomen des Internets? Auch mit dieser Frage beschäftigt sich Prof. Roland Imhoff. In einer Publikation mit dem Titel „Verschwörungstheorien im digitalen Raum“ geht er dieser Frage nach. Große Teile unseres heutigen Lebens kommen ohne Digitales nicht mehr aus. Auch wenn es einem auf den ersten Blick nicht auffällt, dann wird einem doch bei genauerem Hinsehen klar, dass fast jeder Bereich des täglichen Lebens von Digitalem durchdrungen ist. Manchen mag es so vorkommen, als ob Verschwörungstheorien etwas sind, was ausschließlich im digitalen Raum stattfindet und was erst mit dem Großwerden der sozialen Medien Einzug in unsere Gesellschaft gehalten hat. Roland Imhoff erklärt diese Wahrnehmung auch damit, dass die klassischen Medien natürlich nur begrenzten Platz zum Abbilden ihrer Inhalte haben und deshalb auswählen und fokussieren müssen. Im Netz hingegen findet jede Meinung, jeder Kommentar und jede Verschwörungstheorie ihren Platz und ihren Weg zu den Rezipient:innen. Und da das Netz immer präsenter wird, werden natürlich auch dessen Inhalte immer präsenter und tonangebender in unserer Gesellschaft. Jedoch wäre es zu kurz gesprungen, an dieser Stelle schon einen Punkt zu machen. Verschwörungstheorien müssen sich nicht immer zwangsläufig gegen die offizielle Meinung der Regierung oder der herrschenden Klasse richten. Sie können diesen sogar zugrunde liegen. Zu Zeiten des Nationalsozialismus waren die Verschwörungstheorien über die Juden das, was das Narrativ der Führung rund um Hitler geleitet und gestützt hat. Sie haben sich diesen Erzählungen bedient und sie zur offiziellen Erklärung ihres Handelns gemacht. Und auch heutzutage nutzen bspw. Staatschefs wie Wladimir Putin Verschwörungstheorien gegenüber dem Westen, um seine Form der Politik und des Handelns zu rechtfertigen. Aber es kann mit Fug und Recht behauptet werden, dass Verschwörungstheorien kein neues Phänomen sind, welches sich erst mit dem Einzug bspw. der sozialen Medien verbreitet hat. Die Wege, wie diese Theorien zu den Menschen gelangen, haben sich verändert und sie sind schneller geworden, aber das grundlegende Phänomen reicht weit in die Geschichte zurück.

Reißmann

Ich habe auch gelesen, dass Sie sich mit Verschwörungsmentalität und Verschwörungsideologien beschäftigen. Vielleicht können wir das am Anfang erstmal klären, was zwischen der Ideologie und der Mentalität der Unterschied ist.

Imhoff

Also ich fange ein Schritt davor an, also bei den Verschwörungstheorien. Ich meine Verschwörungstheorien kennen wir alle. Das haben wir viel in den Medien oder auf der Straße gesehen. Es ist die Erklärung eines Ereignisses mit einer behaupteten Verschwörung mächtiger Individuen oder Gruppen im Hintergrund, zu deren Vorteil und im Nachteil der Allgemeinheit. Wenn ich jetzt Personen frage, wie sehr sie bestimmten Verschwörungstheorien zustimmen, zum Beispiel, dass 9/11 in Wirklichkeit von der US-Administration orchestriert wurde, dass Lee Harvey Oswald JFK nicht allein erschossen hat, dass Prinz Charles hinter dem Tod von Lady Di steckt und dass es das Corona-Virus nie gegeben hat, sondern dass das von Bill Gates erfunden wurde, dann finden wir statistisch gesprochen eine hohe Korrelation in der Zustimmung zu diesen Aussagen. Das heißt, es sind tendenziell die gleichen Personen, die all diesen Aussagen zustimmen, obwohl es da logisch gar keine Verbindung gibt. Und das geht auch noch einen Schritt weiter, dass wir eine ebenso positive Korrelation in der Zustimmung finden bei der Aussage, dass Lady Di von Prinz Charles ermordet wurde und der Aussage, dass Lady Di ihren Tod nur vorgetäuscht hat und auf einer einsamen Insel lebt. Das stützt sich nicht besonders auf der logischen Ebene. Viele Forscher sagen, dass es meist nicht um die konkrete Verschwörungstheorie geht. Es geht gar nicht um Lady Di. So interessant ist die Frau gar nicht, sondern es geht darum, dass diese Aussagen uns erlauben, einer Weltsicht Ausdruck zu verleihen, die eben davon ausgeht, dass nahezu alles, was in der Gesellschaft passiert, von langer Hand geplant und orchestriert ist. Und diese Weltsicht ist das, was wir Verschwörungsmentalität nennen, also manche Menschen haben eine sehr ausgeprägte Weltsicht und denken, dass quasi alles geplant ist. Und manche Menschen schließen das komplett aus und sagen: „Nein, es gibt sie überhaupt gar nicht.“ Wir sind da nicht normativ unterwegs Ich will nicht sagen, dass das eine richtiger ist als das andere, aber vermutlich liegt die Wahrheit irgendwo in der Mitte, weil Menschen können sich sehr wohl im Geheimen verschwören zu ihrem Vorteil und dem Nachteil der Allgemeinheit. Und insofern ist es auch nicht völlig abwegig, das hin und wieder mal zu vermuten. Eine Verschwörungsideologie ist streng genommen kein psychologischer Term, sondern das geht eigentlich, kann man sagen, noch einen Schritt weiter. Wenn ich nämlich nicht nur habituell davon ausgehe, sondern eigentlich meine ganze Welterklärung darauf aufbaue. Besonders dann, wenn es mit politischen Ideologien angereichert ist. Das haben wir zum Beispiel bei so antisemitischen Verschwörungsmythen, die eigentlich die komplette Weltgeschichte erklären, über einen Antagonismus zwischen geheim operierenden, in dem Fall häufig Juden und Jüdinnen im Hintergrund, und dem Rest der Welt.

Reißmann

Der Begriff, der auch während Corona immer wieder hochkam, war „alternative Fakten“, also dass man sich zum Teil ja nicht mehr, auch in Diskussionen nicht mal mehr auf eine gemeinsame Faktenbasis verständigen kann. Welche Rolle spielen denn diese „alternativen Fakten“ auch in Verschwörungsideologien oder Verschwörungstheorien?

Imhoff

Also wenn ich aus dem vermeintlichen Mainstream auf so verschwörungstheoretische Milieus blicke und sage, die bedienen sich alternativer Fakten, dann will ich ja eigentlich sagen, deren Behauptungen darüber, wie die Welt ist, divergiert von dem, wie sie wirklich ist. Da drin ist impliziert die Setzung, dass, wie ich glaube, dass die Welt ist, eine akkurate Repräsentation der Welt ist. Aber das ist natürlich erstmal ziemlich bold claim, weil das würde ja behaupten, dass es Ground Truth gibt, wir können sagen, wie die Welt ist. Und da würden fast alle Leute, die sich ernsthaft mit Wissenschaft beschäftigen, in ihrer Domäne schon die Segel streichen und sagen, wir können Wahrheit approximieren, wir können Theorien entwickeln darüber, wie die Welt ist, die lange brauchen, bis wir sie widerlegen und mit wenigen Zusatzannahmen lange Zeit gut zurechtkommen. Aber wir würden nicht sagen, so ist die Welt, in der Wissenschaft notwendigerweise. Weil wir Theorien eben nicht beweisen, sondern irgendwie stützen. Und mein Problem mit dieser Sicht ist eigentlich, dass sie so ein bisschen nahelegt, dass wir mit Menschen, die an Verschwörungstheorien glauben, zusammenkommen können, indem wir sie darüber aufklären, was die echten Fakten sind und damit stützen wir uns quasi auf die Annahme, dass wir eine überlegene Erkenntnis haben. Tatsächlich ist es aber so, dass wir, würde ich sagen, vor allem anderen Quellen vertrauen. Das heißt, woher weiß ich denn, dass es einen menschengemachten Klimawandel gibt? Weil ich es gelesen habe im Report des Intergovernmental Panel on Climate Change. Da sagen das alle Leute, die sich ernsthaft damit beschäftigen. Kann ich das nachvollziehen, was sie da errechnen? Nicht die Bohne. Verstehe ich das wirklich, was die im technischen Teil des Reports schreiben? Nein, überhaupt nicht. Ich habe keine Ahnung. Aber ich vertraue den Leuten. Ja, das wird wohl stimmen. Das sind die Leute, wo ich denke, die werden da Expertise darin haben. Verschwörungstheorien machen genau das Gleiche. Die vertrauen aber diesen Leuten nicht. Die vertrauen Russia Today, die vertrauen Ken Jebsen, die vertrauen dem Compact Magazin, was auch immer - anderen Quellen. Aber ich sage mal, in der Struktur unserer Epistemologie, wie wir zur Erkenntnis kommen, stützen wir uns eigentlich auf die gleichen Krücken. Wir glauben, was Quellen sagen, denen wir vertrauen. Und dann ist es auch ein bisschen überheblich zu sagen, das sind Fakten, das sind nicht Fakten, weil für beide Seiten gilt: Das sind im Prinzip sekundär erworbene Informationen. Wir haben die nicht erster Hand erfahren. Es gibt bestimmte Dinge, die kann ich erster Hand erfahren. Wie meine Freunde sind, das Gravitation ein Ding ist, sehe ich immer, wenn ich einen Apfel fallen sehe. Aber ob in Afghanistan die Taliban an der Macht sind – I dont know. Im Spiegel steht: ist so. Vertrau dem Spiegel, dann ist es so. Gibt es den menschengemachten Klimawandel? Die Medien sagen ja. Ich vertrau den Medien, dann stimmt das. Andere Leute konsumieren andere Medien, die sagen, das ist nicht so. Wer bin ich zu sagen, dass meine Medien besser sind als andere Medien? Das heißt über den Appell an Autorität ist es gar nicht so leicht, tatsächlich auf einen grünen Zweig zu kommen und sich zu einigen. Ich glaube also, die Lösung ist leider komplex und liegt dann wieder im Vertrauen nicht auf Quelle, sondern im Vertrauen auf Prozess. Und dazu muss ich aber wissen, wie sind denn die Quellen, auf die ich mich stütze, zu ihrer Erkenntnis gekommen? Und da sind wir wieder beim konfirmatorischen Informationstesten, bei Think the opposite. Das wird im Wissenschaftssystem zumindest versucht zu institutionalisieren über das Peer Review System. Wenn irgendwas in einem wissenschaftlichen Fachmagazin steht, dann weiß ich, dass fünf Leute nur die Aufgabe hatten, Fehler in der Argumentation zu finden. Die sind gescheitert und mussten irgendwann die Segel streichen. Deswegen ist es gedruckt worden. Und in diesen Prozess vertraue ich. Ich vertrau auch in Qualitäts-Checking bei Qualitätsmedien. Aber das ist eine komplexere Operation, als zu sagen, wenn die Tagesschau das sagt, dann stimmt das und das. Und du glaubst ja alternative Fakten.

Reißmann

Jetzt haben Sie ganz oft den Begriff „Vertrauen“ genutzt. Schwindet Vertrauen in unserer Gesellschaft?

Imhoff

Das ist eine gute Frage. Ich glaube, es gibt in Mainz die Langzeitstudie zu Vertrauen, die ist von den Publizisten zu „Vertrauen in Medien“. Und das ist nicht so eine streng monoton fallende Funktion. Es gibt da immer wieder Ausschläge. Es gab zum Beispiel zum Anfang der Corona-Pandemie einen Peak im Vertrauen in die Regierung und ihre Lösungskompetenz. Das hat sich im Laufe der Pandemie ein bisschen nivelliert. Warum auch immer – das kann mit Masken-Deals zu tun haben oder anderen Dingen. Aber das ist nicht so eindeutig, dass das sinkt, würde ich sagen. Wir haben nur wenige Daten. Aber für den zeitlichen Vergleich bräuchten wir immer gleiche Messungen über einen langen Zeitraum, das haben wir nicht auf sehr vielen Variablen besonders gut abgebildet. Was wir aber zum Beispiel indirekt über einen querschnittlichen Vergleich auch sagen können ist, dass Vertrauen in Gesellschaften besonders gering ausgeprägt ist, die sich durch eine große soziale Ungleichheit auszeichnen. Das kann man irgendwie versuchen zu quantifizieren. Was sind Gegensätze zwischen Arm und Reich, sozialer Ungleichheit? Und je ausgeprägter das ist, desto geringer ist gesellschaftliches Vertrauen. Und das ist zumindest, glaube ich, ein Hinweis darauf, dass in dem Grade, in dem sich Gesellschaften in Richtung sozialer Ungleichheit entwickeln und so eine Schere auseinandergeht, wir schon erwarten würden, dass dann auch das gesellschaftliche Vertrauen irgendwie mit sinkt.

Reißmann

Und ist das auch nochmal ein Katalysator für das Glauben an Verschwörungstheorien, dass die Welt immer komplexer wird? Ich meine, auf der einen Seite können wir heute ja schon sehr viel mehr erklären als vor 20 Jahren. Da hat ja die Wissenschaft in vielen Bereichen große Erfolge gefeiert. Und trotzdem wird ja das, was uns umgibt, immer komplexer. Sei es in der Politik, sei es, wie das alles auch mit Klima zusammenhängt, wer da was beitragen kann, wie sich das verändert. Ist das auch quasi nochmal ein Promotor am Ende dafür?

Imhoff

Also man kann sich das plausibel machen darüber, dass Menschen ein ihnen innewohnendes Bedürfnis nach Sicherheit haben, danach genau zu wissen, wie es ist. Und das ist natürlich in sehr komplexen systemischen Zusammenhängen schwieriger und für die Wissenschaft, wenn sie das nicht durchdringt, auch schwieriger, dieses Bedürfnis zu befriedigen. Wir glauben, dieses Covid-Virus hat wahrscheinlich was mit Fledermäusen zu tun. Wahrscheinlich gab es ein Wirtstier, vielleicht da in dem Markt, vielleicht auch nicht, vielleicht auch ein anderes Wirtstier. Man weiß es nicht genau, man kann es nicht ganz genau sagen. Verschwörungstheorien haben dieses Problem nicht. Die müssen nicht so rumwabern, sondern können einfach sagen: Zack, Bill Gates hat das in einem Labor entwickelt und in die Welt gebracht, um uns irgendwie alle mit Windows zu chippen, und damit, das ändert sich auch nicht, und die Geschichte bleibt immer die gleiche. Und dieses Bedürfnis nach einer eindeutigen, sicheren Erklärung können Verschwörungstheorien manchmal besser befriedigen. Ich glaube aber nicht, dass das eine notwendige Bedingung ist. Denn es gibt eine Reihe von Verschwörungstheorien, die Dinge erklären, die so wahnsinnig komplex nicht sind. Ich meine also, der Fahrer von Lady Di fährt alkoholisiert gegen eine Zement-Mauer. So komplex kann das nicht sein. Das kann man schon verstehen, dass das irgendwie Schaden an Mensch und Material verursacht.

Reißmann

Kann man denn die Menschen, die eher zur Verschwörungsmentalität neigen, also wo es gar nicht mehr so um die konkrete Sache geht, sondern die einfach hinter sehr vielem, wenn nicht gar allem irgendwas vermuten, was sie nicht verstehen oder wo sie irgendwo hinters Licht geführt werden sollen, irgendwie charakterisieren, die stark dazu neigen.

Imhoff

Da sind wir wieder bei Kategorisierung und Stereotypisierung. Ich muss ja vorab erstmal eine Human-Differenz aufmachen und Gruppen in der Welt erkennen. Die meisten Studien würden sich das eher kontinuierlich anschauen, würden sich also anschauen, welche Phänomene oder Variablen hängen in ihrer Ausprägung zusammen mit der Ausprägung in Verschwörungsmentalität. Und da finden wir Zusammenhänge mit so was, wie der eben schon erwähnten Tendenz, Muster zu erkennen, wo keine sind. Mit Gefühlen von Machtlosigkeit oder sich in gesellschaftlichen Debatten abgehängt zu fühlen. So ein soziologisches Konstrukt, des Anomie-Erlebens zum Beispiel, dass die Welt immer komplexer wird, wo man nicht mehr mitkommt, es gibt auch Zusammenhänge, die vielleicht ein bisschen unerwartet sind mit dem Bedürfnis nach Einzigartigkeit. Das begründet sich so ein bisschen darüber, dass Verschwörungstheorien dann doch eben sehr selten sind. Und dann viele Menschen das Bedürfnis haben, dadurch irgendwie besonders zu sein. Und wenn ich mir die Rolex nicht leisten kann oder keine Höchstleistung im Sport bringe, dann kann ich das vielleicht durch besonders abgefahrene Ideen darüber, wie die Welt funktioniert, haben. Und so gibt es eine ganze Reihe von weiteren Variablen, mit denen das irgendwie assoziiert ist, die aber nicht so funktionieren, dass wir hier saubere Grüppchen haben, die wir trennen können in: das sind die „Believer“ und das sind die „Non-Believer“.

Reißmann

Machen wir nochmal inhaltlich einen kurzen Schwenk. Wir haben vorhin schon mal auf die Corona-Pandemie geguckt. Auch was da Verschwörungstheorien anging. Oft wurde auch gesagt, die Leute, die auf die Straße gehen, waren Wutbürgerinnen und Wutbürger, die sich also über die Zustände über die Maßnahmen beschwert haben. Aber natürlich habe ich es zumindest oft so mitbekommen, dass sie ja auch versucht haben, auf ihre Weise zu erklären, warum das falsch ist oder warum sie denken, dass das Unsinn ist, dass man das macht. Gibt es da einen Unterschied zwischen Verschwörungsideologinnen und -ideologen und Wutbürgerinnen und Wutbürgern?

Imhoff

Also der Begriff des „Wutbürgers“ ist ja nicht besonders scharf definiert in der Wissenschaft. Aber wenn ich das jetzt müsste und ich würde das normativ logisch machen und nicht empirisch, die können sich ja trotzdem überlappen, dann wäre es mir wichtig zu unterscheiden: Gibt es politische Protestbewegungen, die sich einig mit der Politik sind? Was ist das Phänomen, was ist das Problem? Und meinetwegen wütend und erbittert streiten, was die richtige Lösung und der Umgang damit ist. Wir sind uns einig darüber, dass in Stuttgart ein Kopfbahnhof gebaut wird und da sollen irgendwie viele ganz alte Bäume dafür gefällt werden. Und wir sind uns uneinig darüber, wie das jeweils mit Wert zu bemessen ist. Sind die Bäume und der Bestand der Bäume und der schöne Kopfbahnhof höher zu gewichten als eine schnelle ICE-Strecke oder nicht? Darüber können wir uns streiten und das ist quasi die Grundlage von demokratischer Verhandlung, von Positionen. Wenn ich diesen Schritt nicht mitgehe und wir uns gar nicht mehr drüber streiten und die einen sagen, das ist ein Kopfbahnhof mit Bäumen, und die anderen sagen nein, das ist ein Weltraumbahnhof, um die Invasion zu planen, dann kann der demokratische Prozess gar nicht starten, weil wir überhaupt gar nicht mehr über Lösungen streiten oder uns gar nicht darüber klar werden. Das ist nicht bei notwendigerweise bei allen Verschwörungstheorien der Fall. Aber natürlich ist gewissermaßen in Verschwörungstheorien meistens angelegt, dass es anders ist, als viele vermeintlich glauben. Und das stimmt auch manchmal. Also es ist nicht so, dass die VW- Dieselfahrzeuge total gute Abgasnorm hatten, nur, weil sie auf dem Prüfstand so aussahen, sondern da steckte was anderes dahinter. Stimmt. Es ist nicht notwendigerweise falsch, nur, weil es eine Verschwörungstheorie ist. Aber wenn ich demokratisch streiten will darüber, wie mit einem Problem zu verfahren ist, muss ich mir natürlich einig werden, was das Problem ist.

Reißmann

Das ist ein guter Punkt, weil auch während Corona haben wir es ja gesehen, dass man sich einfach - wir haben es ja vorhin schon mal kurz angesprochen – nicht mal mehr auf eine Faktengrundlage verständigen konnte, und ist dann, wenn das nicht mehr gegeben ist, eh schon für jede Diskussion eigentlich Hopfen und Malz verloren, weil man ja in vollkommen anderen Welten unterwegs ist, man gar nicht mehr zusammenfinden kann in irgendeiner Art?

Imhoff

Na ja, „Hopfen und Malz verloren“ klingt sehr fatalistisch, aber klar: Ich meine, ich werde nicht in einen Prozess von Streit um Lösungen einsteigen können, solange ich das Problem unterschiedlich sehe. Also da komme ich tatsächlich jetzt schwer auf einen grünen Zweig. Ich kann trotzdem diskutieren, aber vermutlich diskutiere ich über was Anderes als über Lösungen, sondern darüber, wie die Welt ist oder, wenn's gut läuft und mein Gegenüber und ich uns trotzdem gut connecten können und können dann auch darüber streiten, woher wir eigentlich meinen zu wissen, wie die Welt ist und darüber zumindest eine gemeinsame Basis herstellen. Aber wir unterhalten uns nicht mehr darüber, was eigentlich ein sinnvoller Umgang mit einem Problem ist.

Sprecherin

Zu Verschwörungstheorien gehören auch Unwahrheiten und Desinformationen. Diese werden, das ist bei großen internationalen Konflikten gut zu beobachten, auch im Rahmen der hybriden Kriegsführung sehr effektiv eingesetzt. Auf der Homepage der Bundesakademie für Sicherheitspolitik schreibt der Politikwissenschaftler Stefan Meister: „Im Kontext der Ukraine- Krise, die sich zu einer grundlegenden Krise des Westens mit Russland ausgeweitet hat, spielen „hybride Kriegsführung“, Propaganda, Verschwörungstheorien und vor allem unterschiedliche Perzeptionen eine wesentliche Rolle. Gerade im westlichen Diskurs beeinflussen einige Fehlinterpretationen mit Blick auf die Machtstrukturen in Moskau die Bewertung der Krise. Russland indes wähnt sich sowohl durch die militärische Stärke einer von den USA dominierten NATO als auch von der EU- Nachbarschaftspolitik bedroht.“ Und tagesschau.de schreibt Ende Februar 2024: „Insbesondere bei Vertretern von Verschwörungsmythen und Gegnern der Covid-Maßnahmen fallen solche Manipulationen auf fruchtbaren Boden. Sie vertrauten bereits während der Pandemie auf russische Medien - obwohl diese im eigenen Land oft gegenteilige Positionen, zum Beispiel zu Impfungen, vertreten.“ Und auch deutsche Regierungsstellen machen darauf aufmerksam, dass durch das Internet und vor allem durch soziale Medien Manipulation und Beeinflussung erfolgt. Das Bundesverteidigungsministerium schreibt auf seiner Homepage:

„Angriffe aus dem Internet sind leicht zu tarnen. Der Fokus von Cyber-Angriffen liegt meistens auf der Beeinflussung der öffentlichen Meinung: Von der gezielten Steuerung von Diskussionen in sozialen Netzwerken bis hin zur Manipulation von Informationen auf Nachrichtenportalen. Eben hier liegt auch der größte Unterschied zwischen der hybriden und der traditionellen Kriegsführung: Mithilfe des Internets und ganz besonders der Sozialen Medien kann ein Aggressor so große Verwirrung stiften, wie es in dieser Form bisher nicht möglich war.“ Wir sehen also, dass heute auch Krieg unterhalb der öffentlich wahrnehmbaren Schwelle stattfindet. Wenn Panzer fahren oder Bomben fallen, dann ist das offensichtlich und für alle verständlich, warum dann da von Krieg gesprochen wird. Aber heutzutage wird auch ein Informationskrieg geführt, der sich unter anderem auch Verschwörungstheorien bedient, der oft getarnt und versteckt erfolgt und das Ziel hat, in die Köpfe der Menschen einzudringen.

Reißmann

Es kam mir gerade noch eine Frage in den Sinn. Wo wir es vorhin von Stereotypen hatten, hat man auch einen Stereotyp von sich selbst?

Imhoff

Man hat ein Selbstkonzept. Das ist das vermeintliche Wissen über mich selber. Aber wenn ich Stereotype definiere als vermeintliches Wissen über eine Person auf Basis zugeschriebener kategorialer Mitgliedschaften, müsste ich ja sagen: Ich habe ein Bild von mir als Exemplar einer Kategorie, der ich mich zuordne. Und es gibt sowas, zum Beispiel wie bei diskriminierten Gruppen gibt es sowas wie Selbst-Stigmatisierung. In sehr homophob ausgeprägten Gesellschaften gibt es zum Beispiel Selbst-Stereotypisierung von schwulen Männern als dem Stereotyp entsprechend. Es gibt immer noch in anderen Fällen quasi stigmatisierte Identitäten. Ich glaube, das ist ein anderer Prozess, weil der Energy-Saving-Aspekt des Stereotyps greift da ja nicht mehr. Ich weiß ja, wie ich bin. Ich muss ja nicht den Shortcut über eine Kategorie nehmen, um zu wissen, ob ich schüchtern bin oder nicht. Ich kann mich einfach selber beobachten und würde das bei einer Person als Beobachtungs-Gegenstand wahrscheinlich auch noch hinkriegen, ohne mich kognitiv zu überfordern. Insofern glaube ich, gibt es ähnliche Phänomene, aber ich glaube, es ist nicht der gleiche Prozess.

Reißmann

Ich habe es mir so gedacht, weil manchmal, wenn vielleicht andere einen wegen irgendwas kritisieren: „Du machst immer das so und so“, dass man denkt: „Nein, mache ich gar nicht oder so bin ich gar nicht“, dass man von sich ein anderes Bild hat, und dann auch vielleicht für Kritik, auch wenn sie berechtigt sein sollte, aber dann nicht so offen ist, weil man denkt: „Nein, diesen Quatsch mache ich gar nicht, so bin ich ja gar nicht.“

Imhoff

Das ist schon ein stabiles Phänomen, eine Divergenz zwischen Selbstwahrnehmung und Fremdwahrnehmung in viele Richtungen. Da gibt es in der Literatur viele Beispiele. Ich glaube, etwas, womit viele was anfangen können, ist die Frage, wie viel man zum Haushalt in Partnerschaft oder WG beiträgt. Das haut häufig nicht so hin, dass das, was die Menschen sagen, wie viel prozentualen Anteil sie haben, in einem Haushalt sich auf 100 addiert. Meistens kommt man da auf 200 Prozent … Und das ist natürlich aber erstmal ein relativ unschuldiger Prozess. Wenn ich sagen soll, wie häufig trag ich denn was im Haushalt bei, dann erinnere ich die Episoden, in denen ich das gemacht habe. Ich war immer dabei. Wie viel meine Partnerin zum Haushalt beigetragen hat, das weiß ich gar nicht so genau. Ich habe die ja nicht unter Videoüberwachung und sehe das ganz genau. Ja, das heißt, es ist ganz normal, dass ich das überschätze zum Beispiel. Und das führt dann aber eben zu so Divergenzen zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung, die meistens ganz gut funktionieren, ohne aufgelöst zu werden. Problematischer wird es eher, wenn ich Widersprüche in mir selber habe, also wenn ich mich auf eine Art und Weise wahrnehme, die dem widerspricht, wie ich eigentlich meine zu sein. Ich habe die Überzeugung, ich bin ein totaler Gesundheitsfreak und mir ist das ganz wichtig und ertappe mich dann dabei, eine Zigarette zu rauchen. Das erzeugt eher so was, was Psychologen kognitive Dissonanz nennen. Das ist irgendwie so ein aversives Gefühl des vermeintlichen Widerspruchs, das passt nicht zusammen. Aber da sind Menschen auch tipptopp darin, das aufzulösen. Also ich kann aufhören zu rauchen, ich kann auch aufhören zu glauben, dass ich gesund bin. Oder ich kann auch einfach sagen, na ja, eine Zigarette pro Tag ist eigentlich überhaupt gar nicht gesundheitsschädlich. Und damit habe ich den Widerspruch aufgelöst, und das kann ich sehr kreativ machen.

Reißmann

Jetzt mal eine Frage an Sie als Wissenschaftler, der versucht, einer Sache auf den Grund zu gehen, des Pudels Kern rauszufinden. Würden Sie sagen, dass prinzipiell jede und jeder Verschwörungstheorien verfallen kann, oder gibt es eine Gruppe, die eher immun dagegen ist? Gibt es da so verschiedene Anfälligkeiten?

Imhoff

Wir haben, wenn wir uns so große annähernd bevölkerungsrepräsentative Datensätze anschauen, ein paar Leute, die ganz, ganz, ganz am unteren Ende der Verschwörungsmentalitäts-Skala sind. Die zumindest angeben, dass sie sich überhaupt gar nicht vorstellen könnten, dass irgendjemand mit Macht und Einfluss jemals hinter verschlossenen Türen ein Wässerchen trüben könnte. Das scheint es zu geben. Muss ich das normativ bewerten? Nein. Würde ich es normativ bewerten, würde ich sagen, das ist auch ein bisschen naiv, weil tatsächlich ist das ja wahrscheinlich gar nicht so plausibel, dass die Welt so ist, dass sich niemals jemand zum eigenen Vorteil irgendwie im Geheimen verabredet.

Aber das scheint es zu geben. Und das sind vielleicht Menschen mit einem so unerschütterlichen Urvertrauen in Gesellschaft, Politik, Geheimdienste und andere Menschen, dass sie gar nicht auf die Idee kommen. Aber alle anderen, würde ich sagen, haben schon die Option Verschwörungen zu vermuten und vielleicht auch aus gutem Grund. Denn es ist natürlich auch ein demokratisches Korrektiv.

Reißmann

Dann haben wir, glaube ich, heute sehr viel darüber, wie Menschen funktionieren, wie Verschwörungsmentalitäten, Verschwörungsideologien entstehen und funktionieren, gelernt. Zumindest kann ich das für mich sagen. Und ich sage vielen Dank.

Imhoff

Gerne.

Reißmann

Ist man naiv, wenn man alles für bare Münze nimmt und nichts hinterfragt? Wenn man immer an das Gute glaubt und niemandem böse oder egoistische Absichten unterstellt? Oder ist man ein Verschwörungstheoretiker, wenn einem manches komisch vorkommt, man die Dinge hinterfragt, ihnen auf den Grund geht und nicht immer alles glaubt, was einem in Radio und Fernsehen erzählt wird? Vermutlich liegt das gesunde Maß irgendwo in der Mitte. Aber wir haben in den vergangenen Monaten und Jahren oft gesehen, dass unser Alltag immer wieder davon geprägt ist, was wir für wahr halten, woher wir unsere Informationen beziehen, wie unser Umfeld eingestellt ist. Viele Faktoren tragen dazu bei, dass wir so oder so auf die Menschen und die Welt blicken. Da erscheint einem manches völlig abwegig und anderes völlig logisch. Wichtig für einen konstruktiven Diskurs sowohl in der Wissenschaft als auch in der Gesellschaft ist, dass wir uns auf eine gemeinsame Faktenbasis verständigen können. Wenn das nicht mehr gegeben ist, wird es eng. Verschwörungsmentalität und Verschwörungstheorien – unter anderem darüber haben wir uns heute unterhalten und ich habe mal wieder viel gelernt – Sie hoffentlich auch. Außerdem kann ich Ihnen alle bisher schon erschienenen Minds of Mainz Podcast-Folgen sehr ans Herz legen. Es gibt noch so viel Spannendes zu erfahren. Auch in unserer nächsten Folge. Bis dahin alles Gute. Tschüss.

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